Inklusive Bildung für alle – ein Schlagwort?
Die Frage, ob Sonderschulen oder inklusiver Unterricht in Regelschulen Kinder mit Behinderungen besser fördern, wird kontrovers geführt. Vieles spricht für zweites, nicht jedoch die derzeitige Ausstattung und der Personalstand an Österreichs Pflichtschulen.

Fakt ist, seit 26. Oktober 2008 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich in Kraft. Sie beinhaltet das Recht auf inklusive Bildung. So steht in Artikel 24 unter anderem: „Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden […]“. Dieser Forderung gegenläufig zeigt sich in Österreich ein Trend hin zu Sonderschulen. Nicht umsonst ortet die UN daher in ihrer Staatenprüfung 2023 dringenden Handlungsbedarf.
Startpunkt einer lebenslangen Exklusionskette
Einmal im System, immer im System. Dieser Grundsatz scheint mit Blick auf das Sonderschulwesen traurige Wahrheit zu sein. Für viele Kinder öffnet sich mit den Toren zur Sonderschule auch eine lebenslange Exklusionskette. Ihnen ist im schulischen Kontext verwehrt, Freundschaften mit Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf zu knüpfen. Langsam aber stetig wachsen sie in eine Parallelgesellschaft hinein. Sonderschulen sind also nicht im besten Interesse von Kindern. Wobei man die Situation von Kindern mit schwersten Behinderungen gesondert betrachten muss. Sie profitieren von Spezialeinrichtungen.
Nach dem Schulabschluss ist es für Jugendliche, die aus der Sonderschule kommen, wesentlich schwieriger Arbeit zu finden. Denn Sonderschulen stigmatisieren. Nur sechs Prozent schaffen den direkten Einstieg in den Arbeitsmarkt. Ganze 44 Prozent sind eineinhalb Jahre nach Ende ihrer sonderpädagogischen Schullaufbahn weder in Ausbildung noch in einem Job.

Sonderschulen dürfen nicht als Naturgesetz gesehen werden. Vielmehr braucht es Mut zur Veränderung, um gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben und Kindern mit Behinderungen die Chancen zu geben, die sie verdienen.
Mag. Mario ThalerGeschäftsführer von LICHT INS DUNKEL
Bessere Lernergebnisse in inklusiven Klassen
Bislang konnte nicht belegt werden, dass Sonderschulen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf besser sind als inklusiver Unterricht in der Regelschule. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass Kinder mit Behinderungen in inklusiven Klassen bessere Lernergebnisse erzielen. „Aber da kommen Kinder ohne Behinderungen doch zu kurz“, lautet die reflexartige Antwort besorgter Eltern. Auch hier belegen Studien das Gegenteil. In inklusiven Klassen lernen alle Kinder messbar mehr. Dabei ist das soziale Lernen nicht einmal noch berücksichtigt. Kinder lernen von- und miteinander, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Behinderung leben. Je unterschiedlicher die Zusammensetzung, desto besser.
Dieser selbstverständliche Umgang mit Inklusion überträgt sich, ist er erstmal internalisiert, auch auf andere Lebensbereiche von der Freizeit bis hin zum Berufsleben. Inklusiver Unterricht ist also ein Hebel, um den Fortbestand von Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Er fördert individuelle Bildungswege und soziale Teilhabe für alle.
Status Quo in Regelschulen ist unbefriedigend
Die Regelschulen sind, was Inklusion betrifft, derzeit denkbar schlecht aufgestellt. Schon für Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ist der Unterricht mit Klassengrößen von 25 Kindern und mehr eine Herausforderung, mehr noch für Kinder mit bestimmten Behinderungen. Klassenzimmer sind beengt und bieten kaum Rückzugsmöglichkeiten. Personelle Ressourcen, um einen erhöhten Förderbedarf (nicht nur von Kindern mit Behinderungen) gerecht zu werden, werden nicht zur Verfügung gestellt. In der Ausbildung werden Pädagoginnen und Pädagogen unzureichend auf die Anforderungen von inklusiver Bildung vorbereitet. Zu allem Übel konzentriert sich das Angebot auf Volks- und Mittelschulen und es gibt kaum integrative Oberstufenklassen. Mit all diesen Defiziten im Blick, darf es einen nicht verwundern, dass Stimmen laut werden, die der inklusiven Bildung die Daseinsberechtigung absprechen. Doch das löst die Probleme nicht, es befeuert nur neue und verfestigt alte (Parallel-)Strukturen.
Dass inklusive Bildung möglich ist, zeigen andere Länder. So wurden etwa in Italien in den 1980er Jahren Sonderschulen komplett abgeschafft. In Schweden wurde bereits in den 1960er Jahren eine Schule für Alle eingerichtet mit Schwerpunkt auf Integration: Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen mussten sich an die Gegebenheiten anpassen. Nachdem sich zeigte, dass das nicht gut funktioniert, wurde Schritt für Schritt auf inklusiven Unterricht umgestellt. Um die Jahrtausendwende führte Schweden schließlich die inklusive Schule für Alle ein.

Natürlich ist es eine Herausforderung, wenn Menschen von der „gewohnten Norm“ abweichen. Aber wir alle sind so individuell und unterschiedlich. Und wir sollten alle die gleichen Chancen haben. Wir sollten Menschen nicht absondern.
Mag.a Ines StillingPräsidentin von LICHT INS DUNKEL
Der Weg von LICHT INS DUNKEL
Uns erreichen Förderansuchen von Schulen, die inklusive Ansätze verfolgen, ebenso wie Ansuchen von Sonderschulen. Unser Zugang: Solange es dieses Parallelsystem (noch) gibt, sehen wir es in unserer Verantwortung, für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf auch in Sonderschulen die bestmöglichen Lernvoraussetzungen zu schaffen. Und so leisten wir über den Soforthilfefonds und die Projektförderung etwa Zuzahlungen zur Ausgestaltung von Rückzugsorten, zu barrierefreien Umbauten oder zu tiergestützten Interventionen. Inklusiven Unterricht unterstützen wir über die Projektförderung 2023/24 zum Beispiel durch Tanz-, Theater- und gesangspädagogische Projekte oder durch auch den Ankauf von Tablets für einen barrierefreien gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen.